Die Bürgermeistermorde am 29. Juni 1921
  • Ein Verdächtiger, der alles abstreitet
  • Einer der ersten Indizienprozesse
  • Mythen und Gerüchte bis heute
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"POLIZEISTREIFEN INS GEBIRGE
Mehrere hundert Polizeibeamte suchen nach den Bürgermeistern"
Heidelberger Tagblatt vom 7. Juli
"HERFORDER MAGISTRAT HAT ZWEI VERTRETER ENTSANDT"
Heidelberger Tagblatt vom 6. Juli
Foto: Stadtarchiv Heidelberg
"ZWEI BÜRGERMEISTER VERSCHWUNDEN"
Heidelberger Tagblatt, 4. Juli
Heidelberg, Sommer 1921:
Meldungen in der Tagespresse beunruhigen die Bürger...
Der Fall erregte schnell Aufsehen in der Stadt. Es beteiligten sich neben einem Großaufgebot der Polizei auch viele Bürger an der Suche - zunächst erfolglos.

Noch bevor man die Leichen findet, wird der 23-jährige Bahnschmied Leonhard Siefert festgenommen. In seinem Gästezimmer wurden Briefe von Busses Frau an den Oberbürgermeister gefunden.

Was weiß man über Siefert?
Thomas Schnepf, ehem. Staatsanwalt und Richter sowie Autor des Romans "Heidelberger Mordsteine"
Der Verdächtige
Leichenfund am Steilhang
Am 11. Juli dann die Gewissheit: Zwei Burschen der Studentenverbindung Guestphalia finden die Leichen an einem Steilhang nahe Heidelbergs Nachbarstadt Neckargemünd unter Steinen begraben.

Der Fundort befindet sich oberhalb des Kümmelbacherhofes an der Seite eines Serpentinenwegs, der einen beliebten Spazierweg kreuzt. An der Kreuzungsstelle soll der Angeschuldigte ein Räuberlager eingerichtet haben.
Wilhelm Busse wurde durch einen Schuss in das Herz getötet. Sein Ringfinger wurde abgeschnitten, der Ehering fehlte.
Leopold Werner wurde 25 Meter weiter erschlagen aufgefunden. Bei beiden fehlten sämtliche Wertgegenstände.
Foto: Staatsanzeiger
Wilhelm Busse, Oberbürgermeister der Stadt Herford (24. April 1871 bis 29. Juni 1921)
Leopold Werner, Bürgermeister a. D
(17. September 1879 bis 29. Juni 1921)

Die Bürgermeister
Fotos: Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv
Rund zwei Wochen zuvor: Am Mittwoch, den 29. Juni 1921, waren Wilhelm Busse und Leopold Werner gegen 15.30 Uhr zu einer Wanderung auf dem Königstuhl, oberhalb des Schlosses, aufgebrochen.
An einem Steilhang werden die Leichen rund zwei Wochen später gefunden.
Von der Bergbahn-Station Königstuhl ist es zu Fuß rund eine Stunde bis zum Tatort .
Gegen 16 Uhr kommen sie am Hotel Ritter in der Altstadt vorbei, wo Busse kurz auf sein Zimmer geht.
Welchen Weg sie ab da nehmen, ist nicht klar. Der Staatsanwalt vermutet, dass sie mit der Bergbahn auf den Königstuhl zum Wandern fahren.
Busse ist mittags zu Gast bei Werner in der Bergstraße 27a, gegen 15.30 Uhr verlassen sie das Haus.
(Klicken Sie auf die Punkte, um mehr zu erfahren)
Die Wanderung
Start
Tatort
Mehrere Zeugen bestätigen, zwischen 18 und 18.30 Uhr zwei Schüsse aus der Nähe des Tatorts gehört zu haben.
Wilhelm Busse, 50 Jahre, war auf der Durchreise. Er kam am Montag, 27. Juni, aus Stuttgart vom Städtetag und nahm sich ein Zimmer im Hotel Ritter in der Altstadt. Er wollte bis zum 30. Juni bleiben. Mit Heidelberg verband ihn viel: Hier hatte er Jura studiert und war Mitglied - "Alter Herr" - der Burschenschaft Vandalia. Außerdem besuchte er seinen Freund Leopold Werner, der Bürgermeister der Stadt Herford gewesen war. Busse war verheiratet und hatte zwei Töchter.

Der ledige Leopold Werner, 41 Jahre, hatte ebenfalls Jura in Heidelberg studiert und wohnte dort seit 1919 in der Bergstraße. Er trat seinen Dienst als Bürgermeister in Herford 1912 an, schied aber "wegen schlechter Gesundheit" Anfang 1919 aus.
Herford (Westfalen)
Heidelberg (Baden)
Stuttgart (Württemberg)
Busses tragische Reise
Quelle: Open Street-Map
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Fotos: Kommunalarchiv Herford
Traueranzeige im Herforder Kreis-Blatt
vom Juli 1922
"Wohl noch nie hat eine Trauerstunde solch allgemeinen Schmerz in den Herzen der Bevölkerung einer Stadt ausgelöst wie diese."
Der verhaftete Siefert stritt jeden Zusammenhang mit der Tat ab, weshalb die Staatsanwaltschaft ihm die Tat nachweisen musste.
Der renommierte Gutachter Georg Popp, damals 59 Jahre alt, sollte dabei helfen. Er reiste einen Tag nach dem Leichenfund aus Frankfurt an.

1889 hatte er in Frankfurt das Institut für gerichtliche Chemie und Mikroskopie gegründet.
Seine chemischen Gutachten waren die Grundlage für einen der ersten Indizienprozesse der Weimarer Republik.
Foto: Hahn / Wohlfahrt
Der Gutachter
Georg Popp
(31. Juli 1861 bis 15. Februar 1943)
Zeichnung: Stenzel
Der Tatvorwurf
Die Tatwaffe war ein abgesägtes Modell des Karabiners 98, wie er im Ersten Weltkrieg verwendet wurde.
Wanderer erkannten Siefert in der Nähe des Tatorts, als dieser ihnen ungefragt den Weg zum Kümmelbacherhof zeigte. Den hellen Hut soll er dabei tief ins Gesicht gezogen haben.
Siefert soll, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, in einem Räuberlager am Wegesrand den Bürgermeistern aufgelauert, diese getötet und deren Wertgegenstände geraubt haben.
Zeugen bestätigten, Siefert am 29. Juni mit braunem Anzug und der Juppe mit roten Längsstreifen im Wald gesehen zu haben. Der Anzug war ein wichtiges Beweisstück und wurde von Popp chemisch untersucht.
(Klicken Sie auf die Punkte, um mehr zu erfahren.)
Indiz 1: Die Fingerabdrücke
Eines der wichtigsten Indizien, die für die Schuld Sieferts sprachen, waren seine Fingerabdrücke auf einer blutbefleckten Postkarte, die am Tatort gefunden wurde.

Sie entstanden wohl bei der Herausnahme der Geldscheine aus dem Geldbeutel des Oberbürgermeisters Busse, in dem sich die Postkarte befand.

Foto: dpa / imageBROKER | H.-D. Falkenstein
Thomas Schnepf erklärt, wie Georg Popp die Geschworenen von der neuartigen Methode überzeugen konnte.

Foto: dpa_blickwinkelMcPHOTOM. Gann McPHOTOM. Gann
Indiz 2: Blutflecken
An Sieferts Kleidung sind Blutflecken und Blutspritzer entdeckt worden. Mit einem erst 1901 von dem Bakteriologen Paul Uhlenhuth entwickelten Verfahren hat Georg Popp nachweisen können, dass es sich um Menschenblut handelte.

Der Einwand Sieferts, er habe sich die Flecken beim Geschlechtsverkehr mit seiner Geliebten zugezogen, konnte gleichfalls entkräftet werden.

Foto: dpa/ Maximilian Schönherr | Maximilian Schönherr
Indiz 3: Moos
Schließlich konnte durch Vergleich der Moosarten im Räuberlager, in welchem Siefert seinen Opfern aufgelauert hatte, und der an seinem Anzug haftenden weiteren Flora nachgewiesen werden, dass er am Tatort gewesen sein musste.

Foto: Staatsanzeiger
Und: Über 100 Zeugen gehört
Ein Zeuge vernahm während eines Spaziergangs in der Nähe des Tatorts am 29. Juni, kurz nach 18 Uhr, "zwei Schüsse, dazwischen ein lautes Sprechen vielleicht auch Schimpfen". Er fertigte diese Skizze an.

Weitere Zeugen, die sich zeitgleich in der Nähe des Tatorts aufhielten, geben ebenfalls an, Schüsse gehört zu haben.

Skizze: Generallandesarchiv Karlsruhe 242 Nr. 2196; 311 Zugang 1992-15 Nr. 74
Der Prozess gegen Siefert fand vor dem Heidelberger Landgericht statt.
Er begann am Montag, den 16. Januar 1922, mit der Wahl der zwölf Geschworenen.

Die sechs Verhandlungen im Schwurgerichtssaal starteten pünktlich um 9 Uhr. Siefert wurde von einem Pflichtverteidiger vertreten.
Foto: Stadtarchiv Heidelberg
Der Prozess
"Ich fordere den Kopf des Angeklagten.
Dieser Unhold muss vom Erdboden verschwinden."

Plädoyer des Staatsanwalts Dr. Sebold

Die Plädoyers waren auch für die damalige Zeit außerordentlich heftig, emotional und reißerisch. Sebold sprach von "bestialischer Art des Tötens".

Das Plädoyer
"Wusste denn der Täter - gewisse Anzeichen sprechen dagegen - ob Bürgermeister Werner schon tot war, als er ihn unter den Steinen begrub?"

Plädoyer des Staatsanwalts Dr. Sebold

Die Plädoyers wurden von den damaligen Prozessbeobachtern genau protokolliert.


Im Video erklärt Thomas Schnepf, wie diese heutzutage zu beurteilen sind.

Nach nur sechs Verhandlungstagen wird Leonhard Siefert am 23. Januar 1922 von den Geschworenen für schuldig gesprochen. Er stritt die Tat bis zum Schluss ab.

Er wurde "wegen Mordes in zwei Fällen zweimal zum Tode und dauerhaften Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt".
Das Urteil
Aus dem Herforder Kreis-Blatt vom 24. Januar 1922
Foto: dpa/Kelly Redinger Bildagentur-onlin/ -
Siefert wurde deshalb für die Hinrichtung in einer Nacht- und Nebelaktion von Heidelberg nach Bruchsal verlegt - aus Furcht, ihm könne doch noch der Ausbruch gelingen.




Vermutlich aus dem zweiten Stock des "Faulen Pelz", dem Gefängnis in der Heidelberger Altstadt, warf Siefert am 19. Dezember 1921 einen Brief auf die Straße. Darin bittet er den Finder, das Papier einem Bekannten zu bringen, der dann Werkzeug für einen Ausbruch in das Gefängnis schmuggeln sollte. Der Zettel aber wurde von einem Wärter gefunden.
Fluchtversuch im "Faulen Pelz"
Klicken Sie auf die Pfeile rechts und links im Bild, um weitere Fotos zu sehen.
Die Hinrichtung
Gemäß Paragraf 3 der Scharfrichterdienstverordnung des badischen Justizministeriums geschah die Vollstreckung des Urteils durch Enthauptung mittels des Fallbeils -
der badischen Guillotine.

Die in Baden benutzte Guillotine wurde von der Firma Mannhardt in München für 1000 Gulden hergestellt. Sie wurde in Bruchsal aufbewahrt und von dort, zerlegt und in Kisten verpackt, an die verschiedenen Hinrichtungsorte per Bahn verschickt.
Dort wurde sie dann vom Henker zusammengesetzt.

Foto: Stadtmuseum Bruchsal/Heintzen
Nachbau der badischen Guillotine.
Bei der Hinrichtung am 29. Juli 1922 durften neben dem Richter, Staatsanwalt und Arzt nur zwölf vom Oberbürgermeister der Stadt Bruchsal geladene Bürger dabei sein.
Fotos: Stadtarchiv Bruchsal
"Euer Leben ist verwirkt. Gott sei Eurer Seele gnädig."



Anschließend zerbrach der Staatsanwalt einen schwarzen Stab über seinem Knie und warf ihn Siefert mit folgenden Worten vor die Füße:



Die Hinrichtung begann bei Tagesanbruch mit dem Läuten der Kirchenglocke. Alles war bis ins Detail geplant. So musste eine schwarze Decke über Siefert ausgebreitet werden, damit man die Todeszuckungen nicht sieht. Dann wurde das Urteil nebst der Revisionsentscheidung des Reichsgerichts verlesen.
Foto: dpa/ imageBROKER /Stefan Arendt
Mythen und Ferndiagnosen
(...) Jetzt veröffentlicht die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die Zuschrift des Rechtsanwalts Dr. Rudolf Heilbrunn, Amsterdam, worin darauf hingewiesen wird, daß hier ein Justizirrtum vorgelegen habe. (...)
Rhein-Neckar-Zeitung, 23. Januar 1952
"Seit Wochen verfolge ich mit angestrengtem Interesse die Entwicklung der (...) Angelegenheit. Infolge meiner langjährigen Tätigkeit auf dem Gebiet der Hypnose bin ich aufgrund ähnlicher Experimente zu dem Entschluss gekommen, meinen Dienst (...) den Behörden anzubieten."
Brief an die Staatsanwaltschaft im Juli 1921
"Biologisch - physiognomische Charakter-Analyse eines unbekannten Mannes nach 5 Photographien und einer Bleistifthandschrift"
Fernanalyse Sieferts von einem Hauptmann a.D. , 1921
Von Anfang an boten Wahrseher ihre Dienste in dem Fall an.
Auch die Stimmen, dass Siefert gar nicht der Täter war, verstummten nicht.
War Siefert der wahre Täter?
Thomas Schnepf über die Gerüchte.

Die Gedenksteine
Am Wegesrand, wo Siefert geschossen haben soll, erinnern heute zwei gravierte Buntsandsteine an die Opfer. Sie wurden von einer Studentenverbindung gestiftet.
Zudem beschäftigen sich Zeitungsartikel rund um die Jahrestage mit der Tat. Im Jahr 2006 veröffentlichte Thomas Schnepf seinen Roman "Heidelberger Mordsteine".
Die Prozessakten liegen im Generallandesarchiv in Karlsruhe. Fotos des Tatortes und Beweisstücke wurden laut Akten 1922 ins Kriminalmuseum nach Karlsruhe verbracht, wo sie sehr wahrscheinlich bei einem Luftangriff 1943 zerstört wurden.
Foto: Staatsanzeiger
Redaktion: Philipp Rudolf, Pia Hemme
Interviewpartner: Thomas Schnepf

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